Wiesn-Depression & Lederhosn-Phänomen

Wiesn-Depression & Lederhosn-Phänomen

7:54 Uhr in 6 Minuten klingelt der Wecker. Wie immer bin ich schon ein paar Minuten vorher wach. Es ist nicht mal ganze 5 Stunden her, dass ich mich in meine Decke gekuschelt habe und sanft entschlummert bin. Trotzdem, bin ich wach und wage einen Blick aus meinen kleinen, verschlafenen Augen in Richtung durchs Fenster zum Himmel. Grau. Schwarzgrau. Trüb. Dunkel. Und es sieht kalt aus. Saukalt um ehrlich zu sein. Ich ziehe mir die Decke über den Kopf, mach die Augen zu und denke mir – viele Sachen, die ich jetzt besser nicht aufschreibe.

8:00 Uhr Mein Handywecker piepst nicht oder brummt, mein Handywecker spielt Gute-Laune-Musik. In der Hoffnung, dass mir der Schlafmangel weniger ausmacht, wenn mir der Michi Dietmayr vorsingt, was alles „schee“ ist, habe ich sein Lied als Weckton eingestellt.

Auf den Bergen dieser Welt, mittendrinn im Erdbeerfeld oder in am Wiesnzelt – ja da is schee!“  singt er, mit der Gitarre begleitet – und ich denk mir so: Ah geh hau ab!! Was genau ist an einem Wiesnzelt schee? Ich drücke die „Snooze-Taste“ auf meinem Handy und drehe mich nochmal um.

 

8:13 UhrMäääädels – aufstehen – ein neuer, herrlicher Wiesntag beginnt in wenigen Stunden! Und ich muss heute umwerfend aussehen. Er kommt heute! Ihr wisst schon: ER!!“ Meine Kollegin jodelt in einer Stimmlage, die nicht mal erreiche, wenn mir jemand einen Eimer Eiswasser von hinten über den Belli schüttet. Während der Wiesn wohnen wir zu 4. in einer Weiber-WG. 3 Weiber. Und ich. Und diese 3 Weiber sind jetzt wach. Und gackern durch die 15qm Wohnung wie aufgeschreckte Hühner die sich grade dem Gockel präsentieren. Ich vergrabe meinen Kopf zusätzlich noch unter dem Kopfkissen. Das geht. Für ca. 4,5 Minuten. Dann drohe ich zu ersticken.

8:18 Uhr Ok. Ok. Ok. Ich stehe auf. Himmel. Mir tut alles weh. Alles. Die Gelenke. Die Knochen. Die Muskeln. Der Nacken. Der Rücken. Die Füße. Der Kopf. „Schneckallllllll, guten Morgen, gut geschlafen, bist fit? Machst du mir die Haare? Willst du duschen? Magst einen Kaffee? Schau wir haben Semmeln! Magst an Joghurt?“ Lotti meint es gut. Aber für mich ist das zu viel. Viel zu viel. „Oida?!? WAS ist LOS mit DIR? Ich will RUHE! SOFORT!“ Meine Stimme hört sich eher an wie Bud Spencer nach der 4. Flasche Whisky. Aber jetzt ist Ruhe.

8:37 Uhr 19 Minuten, eine kalte Dusche und frisch gewaschene Haare später – regnet es draußen immer noch. Und es ist immer noch grau. Und mir tut immer noch alles weh. Und ich hatte immer noch keinen Kaffee. Den bekomme ich auch so schnell nicht. Schließlich gibt es in unserem Wiesn-Quartier keine Maschine und um Filterkaffee aufzugießen, bin ich zu schwach.

8:51 Uhr Aus Ermangelung an Kaffee dope ich meinen Körper jetzt mit einem Liter Detox-Smoothie aus dem Supermarkt. Wirkt. Mich schüttelt es zwei Mal dermaßen, dass ich schon fast behaupten möchte, dass ich wach bin.

8:59 Uhr Die Lederhosn. Wo ist meine Lederhosn? „Himmiherrschaftszeitenkreizgruzifünferlnomoina! Wer vo Eich Drutschal hot mei Lederhosn – ah, da is ja. Sauber aufghängt. Zum Lüften. Am Balkon. An da Hauswand. Damit´s ned noß werd. Na bravo. Sau koit is des Drum!“ während ich so vor mir hinschimpfe, stehen meine 3 WG-Prinzessinnen im Halbkreis hinter mir und grinsen aus ihren frisch gebügelten Dirndl. Lotti fragt dann ganz frech: „Paula, was ist los mit dir? Bist ned guad drauf heit?“ „Ah geh, kumm, hau ab! Wia soi ma mit drei dermaßen laute Weiber in oana Wohnung in Ruhe wach wern?“ murmel ich in meinen nicht vorhandenen Bart. Und dann passiert etwas – was ich in all den Jahren als Wiesnbedienung noch immer nicht verstanden habe. Was ich vermutlich niemals verstehen werde. Was man nicht erklären kann. Wofür es keine Mathematische Gleichung gibt. Was physikalisch, chemisch, biologisch, religiös, soziologisch oder irgendwie und sowieso nicht zu erläutern ist. Jedes Jahr, jeden Tag und an jedem noch so bescheidenen Morgen, der einen neuen Wiesntag einleitet, habe ich folgendes Phänomen entdeckt: In dem Moment wo ich meine Lederhosn anhab – is ois wieda guad! In den Moment, wo ich den letzten Knopf zu mach, tut mir nix mehr weh. Und in dem Moment wo ich die letzten Millimeter meines Reisverschlusses an meinem Mieder zu mache, kehrt mein Grinsen zurück in mein Gesicht. Die Augen funkeln wieder. Der fahle Haut Ton weicht rosigen Wangerl. Des Herzal schlag wieder gleichmäßig im Takt. Und obwohl ich noch vor 2 Minuten kurz vor einer ausgewachsenen Wiesn-Depression stand und obwohl der Petrus noch immer kein Einsehen hat. Trotzdem – is jetzt ois wieder guad!

9:08 Uhr Gürtel angelegt. Schal umgewickelt. Regenjacke angezogen. Ab auf´s Radl. Rüber zur Wiesn. Kurzer Zwischenstopp beim Koffein-Lieferanten meines Vertrauens.

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9:27 Uhr Ankunft im Zelt. Der Garten steht unter Wasser. Knöchel hoch. Ois is nass. ALLES. Ich übrigens auch. Bis auf die Knochen. Vom Radeln.

10:13 Uhr Geselliges Beisammensein der Service-Crew an einem meiner Tische. Nicht weil mich alle so gerne mögen. Aber in meinem Service gibt’s a Heizung. Heizstrahler. Bei mir im Garten ist es demzufolge wärmer als im leeren Zelt. Phänomen.

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10:17 Uhr Depressive Stimmung trotz Lederhosn. Grauer Himmel. Regen. Kalt. Saukalt um ehrlich zu sein. Noch keine Gäste. Ist ja auch Dienstag. Schlechtes Wetter. Morgens. Kurz nach 10. Auf die Gäste werden wir noch warten müssen. Ich brauche einen Plan. Für mich. Für meine Stimmung. Gegen die Depression.

Wiesn bei Regen

10:49 Uhr Bestes Anti-Depressiva? Kaffee mit Baileys. Viel Baileys. Wenig Kaffee. Am besten für Alle! Gruppendepressionen können immense Ausschreitungen mit sich bringen. Sollte allen geholfen werden. Sofort.

10:53 Uhr Mama kommt. Meine Mama. Überraschung. War nicht angesagt. Hat zwar keinen Baileys dabei, dafür aber Eierlikör. Viel Eierlikör. Selbergemacht. Sehr fein. Für Alle.

10:56 Uhr Egal wie alt du bist. Egal wo du auf der Welt bis. Egal welchen Job du machst. Wenn es dir schlecht geht, brauchst du (d)eine Mama. Und Eierlikör.

11:03 Uhr Wiesn-Depression musste nun endgültig dem Lederhosn-Phänomen weichen. Ausreichend Eierlikör hat sicherlich positiv auf die allgemeine Stimmung eingewirkt. Mama lässt ausreichend Notfallversorgung bei uns.

11:19 Uhr Gäste stellen fest, dass ich „brutal guad ausschau für des Scheiß-Wedda“ Nehm es als Kompliment. Sage es mir auf dem Weg zur Schänke noch 4-mal leise im Kopf vor und vertreibe damit auch den aller Letzen Funken Wiesn-Depression.

16:58 Uhr Stelle soeben fest, das heute erste Dienstag ist. Erst der vierte Tag. Da kann man noch gar keine Depressionen haben. Die kommen seit je her erst am fünften Tag. Immer schon. Der Himmel wird langsam heller. Die Regentropfen kleiner. Weniger. Es gibt Gäste, die schon ohne Schirm kommen. Meine Vermutung allerdings: die haben einfach keine Schirme zu hause. Sind nämlich alle mit Schirm hergekommen. Aber Keiner, Niemand, Keine, haben je wieder einen Schirm mit nach Hause genommen. Nicht am ersten Tag, nicht am zweiten Abend und gestern auch nicht. Ich allerdings, ich werde nach der Wiesn ganz groß ins Schirm-Geschäft einsteigen.

 

Mogst an trocknan Belli hom, muaßt du bloß de Paula frogn

 

19:41 Uhr Wenn es jetzt hell wäre, würde man sehen, dass die Sonne scheinen könnte. Sind nämlich keine Wolken mehr am Himmel. Keine einzige Wolke. Sternen klar. Und glei no vui kälter wia gestern. „Ja bist du narrisch, is des koit. Himmi is des koit!“

0:13 Uhr Morgen wird a Traumwetter. Wunderschönes Traumwetter. Wenn i bis dahin ned erfroren bin – erzähle ich Euch davon!

Übrigens: ER, ihr wisst schon, ER, er war nicht da. Der ganze Aufwand umsonst. Die Haar, die Schminke, des rumgeschreie in der Früh. Alles umsonst. Warum er nicht da war? Weil ihm des Wetter zu schlecht war. Zu nass, zu kalt, zu greislig. Ob er wann anders kommt? Konn scho sei – aber ned zu uns. Hausverbot. Lebenslänglich! ER! Wie es IHR geht? Mei… die Lotti ist hart im Nehmen. Die findet an Anderen. Jetzt muss ich aber los, sonst fahren die Weiber ohne… Jaaaa, jetzt schaug da des o! Sitzt ned unsere Lotti bei so am Lausbua am Radl. Ja gibt’s denn des? Ja derf denn des wahr sei? „Heee, Lotti, hoit, warts auf mi. I kimm a mit!“

 

Oiso dann, Servus, Guad Nacht, bis morgen! Und denkts dro: Morgen ist Traumwetter!

 

Danke Mama. Für den besten Eierlikör. Der uns über viele Wehwehchen hinweggetröstet hat. Über Müdigkeit und Unlust. Über Herzschmerz und Halsschmerz. Über Husten und Heiserkeit. Und natürlich zusätzlich zur Lederhosn auch über den nicht vermeidbaren Anflug von Wiesn-Depressionen. Die Mama ist und bleibt die Beste!

 

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Wiesng´schichten 2016 – Ernst ist das Leben, heiter die Wiesn

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