Besoffe vör Glück
Donnerstag
8:21 Uhr. Faszination Karneval. Du wachst 9 Minuten vor deinem Wecker auf. Warum? Liegt am Adrenalin. Der Altweiberdonnerstag ist so was wie der Anstich auf der Wiesn. Eigentlich ja nicht, weil eigentlich läuft des Kölsch in Köln durchgehend. Uneigentlich geht aber das Finale jetzt los. Nicht genau jetzt, sondern um 11:11 Uhr. 11 ist eine magische Kölsche Zahl. 11 Kann alles. 11 Kölsch. 11 Artikel. 11 Spieler. 11 Uhr. 11. im 11. 11 Vorsitzende. 11 ist die Zahl der Sünde. Und das hier ist Sünde. Ganz bestimmt.
8:43 Uhr. Es tut nicht weh. Nichts. Keine 28 Kölsch von gestern Abend. Kein Schnaps. Nichts tut weh. Aber der Kaffee tut jetzt wirklich gut.
8:59 Uhr. Ein ungeschriebenes Gesetzt lautet: die Grundlage ist alles. Obwohl, wahrscheinlich hat des auch mal jemand aufgeschrieben. Egal. Wichtig ist: Grundlage schaffen. In Form von fester Nahrung. Fällt mir besonders schwer. Frühstücke ja überhaupt nicht gerne. Aber egal, da muss ich jetzt durch. Rührei mit Schinken und Käse. Dazu ein überbackener Toast. Ein Glas Cola. Des fühlt sich im Moment mal ganz gut an.
9:11 Uhr. Nach 2 Tassen Kaffee und jede Menge Käse, Schinken, Ei und Brot wage ich einen Blick in den Spiegel. Geht scho. Für Karneval reicht es. Schwarze Farbe ins Gesicht und Haare geflochten. Rein in die Leder-Buxe. Und… Bedienungsgürtel umgeschnallt! Nein. Ich bin nicht betrunken. Ich weiß schon, dass ich am Karneval bin. Aber ich habe festgestellt, so ein Bedienungsgürtel ist sau-praktisch. In dem Halfter wo normal mein Geldbeutel hängt, haben locker drei Kölsch Platz. Und in den Taschen trägt Frau Handy und alles sonstige Wichtige direkt am Mann. Sehr komfortabel.
9:21 Uhr. Faszination Karneval. Es klingelt 9 Minuten früher an der Tür. Die Mädels können es auch schon nicht mehr erwarten, bis es endlich los geht. Wir wohnen mitten auf dem Friesenwall. Zwischen Rudolfplatz und Friesenplatz. Und es ist zwar eigentlich noch mitten in der Nacht. Aber draußen tobt schon der Bär. Bunte Kleider, lustige Perücken und jede Menge strahlende Gesichter.
9:28 Uhr. Plopp. Die erste Sektflasche knallt. Für den Kreislauf ist schließlich ein Gläschen Sekt das Beste was man tun kann. Großes HALLO. Quatschen, Ratschen, Rührei. Wir nehmen es echt ernst mit der Grundlage.
10:11 Uhr. Noch eine Stunde bis es losgeht. Wir machen uns dann mal auf den Weg. Zo Foß! Raus aus der Tür und erstmal ein Kölsch am nächsten Büdschen. Für den Weg so zu sagen. Es tröpfelt. Is mir aber wurscht. Mein Trachtenhut hält wunderbar trocken. Die „Kölsche Mädsche“ um mich rum lamentieren wie wenn es kein Morgen mehr geben würde. Wegen dem bissi Regen. Aber die wissen halt auch nicht, dass der Herrgott ein feierwütiger Vollprofi ist. Zumindest was das Wetter angeht. Der Weg zum Heumarkt ist feucht von oben und von innen. Fröhlich und äußerst musikalisch.
11:01 Uhr. Kein Regen mehr. Es reißt auf. Die Sonne schaut vorbei. Der Platz vor der großen Bühne ist prall gefüllt mit feierwütigen Menschen. Großartig. Alle Lachen. Und es kribbelt ein bisschen unter der Haut. Ein bisschen so, wie wenn die Paula am ersten Samstag an der Schänke ansteht. Ich fühl mich sauwohl. Wir treffen an unserem Stammplatz ein. Der ist so gewählt, dass man möglichst viele Menschen sieht. Nicht lange auf ein Bier warten muss und nicht steht wie bei einem Auftritt der Chippendales.
11:10 Uhr. Silvester, Geburtstag, Anstich – egal. Die letzten 10 Sekunden werden runtergezählt. Die Menge macht mit. Alle. Und dann ist endlich Musik. Endlich. Und die hört jetzt nicht mehr auf. Die nächsten 4 Tage trommelt und trompetet es in meinem Kopf und noch mehr in meinem Ohr. Und von jetzt auf gleich bin ich besoffen – vor Glück! Weil es mir einfach gut geht. Weil ich es genieße nicht zu wissen, wo der Tag endet. Wo die Reise hingeht. Wann ich daheim bin und weil ich mich nichts außer um mich selbst kümmern muss. Ich kann Euch gar nicht sagen was ich für ein Glück habe. In da Lederhosn in Köln. Mit Blick op de Dom. Et Kölsch in der Hand. Besoffe vör Glück – weil et dat alles nur in Kölle jibt!
12:15 Uhr. Eine Stunde ist der Straßenkarneval jetzt alt. (Also der hier in Köln ist der natürlich Kölsch – niemals Alt) Singen, schunkeln und tanzen. Zeit für einen Tapetenwechsel. Ich habe nämlich noch mehr als nur Glück. Und folge jetzt einer Einladung ins Heising & Adelmann. Da bin ich irgendwie daheim. Hat ein bisschen was von Bratwurst. „Wer rein kommt, ist drin“ und man kommt nicht einfach rein. Dat Marie natürlich schon. Klar.
14:00 Uhr. Es hilft ja alles nix. Irgendwann muss auch die größte Blase mal entleert werden. Habs ja eh schon recht lang ausgehalten. Oh wie mir graut…
14:03 Uhr. War gar nicht schlimm.
14:17 Uhr. Bütze jehört dazu. Ich könnte euch jetzt stundenlang darüber erzählen. Mach ich aber nicht. Geht ja schließlich niemand etwas an. Nur so viel: schee is scho.
15:48 Uhr Der Karnevalsorden. Was des „Glubberl“ auf der Wiesn ist der Karnevalsorden in Köln. Mit einem Unterschied: des Glubberl geht schneller her wie der Orden. Aber nach vielen Jahren, in denen dat Marie immer und zu jeder Gelegenheit Textsicherheit bewiesen hat, ist es dieses Jahr endlich soweit. Ich bekomme einen Orden. Verliehen von denen die „Großes Kino“ machen, dafür, dass das dat Marie großes Kino ist. „Eine Münchnerin die uns die Texte vorsingen kann, wat sollen wir sajen usser dremol Kölle Alaaf“ Ich fühl mich geschmeichelt. Ehrlich. Großes Kino.
16:21 Uhr. Faszination Karneval. Du lernst die tollsten Menschen im Karneval kennen. Irgendwie immer. Jedes Jahr. Manche Bekanntschaften halten ewig. Manche nur über Karneval. Aber alle sind eine Geschichte wert. Und jeder der meint, im Karneval geht es nur um des eine, der täuscht. Gewaltig. Es geht um viel, viel mehr. Singen, Tanzen, Lachen, fröhlich sein und einfach eine großartige Zeit haben und mal nicht über die Dramen der Weltgeschichte nachdenken. Des is soooo schee. Und so unbeschwert. An dieser Stelle: Grüße an den Seefahrer aus der Ehrenstraße!
17:59 Uhr. Tapetenwechsel. Nicht weil es grad so schön ist. Nicht weil ich einfach weiter feiern könnte. Aber via Whatsapp wurde ich von einer Kaffeelieferung informiert. Ja ehrlich. Es gibt so wundervolle Menschen. Und die besten davon kenne ich. Und die kennen mich. Und wissen was ich brauche. Nach gefühlten 31 Kölsch (und 6 Wasser – weil auch ungeschrieben ist, dass auf jedes 5. Kölsch ein Wasser folgen muss, damit man lang genug stehen kann) freut sich dat Marie über einen frischen, warmen Latte Macchiato. Und der wird geliefert. Direkt zur Tür der nächsten Kneipe. Und weil wir eh grad draußen sind – schreiten wir zur Nahrungsaufnahme. Ein Stück Pizza und eine Cola und die Welt schaut wieder viel frischer aus. Es regnet übrigens nicht. Glaube ich.
18:58 Uhr. Faszination Karneval. Köln ist bestimmt kein Dorf. Und an Altweiber ist in jeder noch so kleinen Kneipe der Bär los. Aber die Welt ist ein Dorf. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass ich zufällig Leute treffe, die ich kenne. In diesem ganz speziellen Fall ist es allerdings vogelwild. Vor der Tür der anvisierten Kneipe steht mein zukünftiger Schwiegersohn. Jaaaa. Ich weiß, dass hört sich jetzt etwas seltsam an. Ist aber so. Die Urlaubsliebe meiner kleinen bezaubernden Tochter steht dort als Baby verkleidet. Ne, wat is dat schön.
20:15 Uhr. Primetime. Die Brotzeit hat gutgetan. Ich bin wieder voll fit und in meinem Element. Singen. Tanzen. Lachen. An der Bar treffe ich den „Russischen Marineoffizier“. Schöner Mann. Allerdings findet „Bonnie“ den auch total schön. Ich dreh mich um und schau zu, wie der „Afrokopf“ mit der „kleinen Chinesin“ tanzt. Daneben steht eine „Indianerin“ die mit einem „Astronauten“ schmust. Karl May dreht sich vermutlich im Grab um. Aus den Lautsprechern ertönt „Kumm loss mer springe“ und 5 Einhörner stürmen die Tanzfläche. Der Russe neben mir hat sich indessen für mich entschieden. Mit leuchtenden Augen und einem frischen Kölsch steht er vor mir und dreht damit Bonnie den Rücken zu. Arm in Arm singen wir:
„Jedämf Leech
Die Luff es klamm un wärm
Bunte Luffballons
Alles litt sich Ärm en Ärm
Loss mich vun ’ner Well drieve
Vun ner schöne Melodie
Et letzte Kölsch schmeckt zockersöß
Alles es joot un nix deiht wieh
Hück steiht de Welt still
För ne kleine Moment
Wenn mr öm sich röm alles verjiss
Hück steiht de Welt still
Un us nem kleine Augebleck weed Iwigkeit
Wenn mer he zesamme sin“
22:37 Uhr. Die Bekanntschaft aus dem Heising & Adelmann fragt via Whatsapp unseren Standort ab. Irgendwie ein Kompliment für mich. Ein paar Minuten später tauchen der Seeräuber und der Hippie dann auch schon auf. Da wo sie waren, war es langweilig. Klar – für echte Stimmung braucht man Münchner. Ich muss lachen. Das glaubt mir niemand. Aber das hier ist der Beweis.
23:51 Uhr. Seit der letzten Nahrungsaufnahme sind mindestens 5 Wasser ins Land gegangen. Zeit für ein weiteres Stück Pizza. „Jetzt nicht. Du musst ganz schnell mitkommen“ schrie es in mein Ohr. Und schon zogen sie mich an den Armen aus dem Laden. In einem Affenzahn legen wir einen Sprint in Richtung Dom hin. Kurze Zeit später stehe ich also mit einem Russen, einem Seeräubere, einem Wuidara, zwei Babys, 2 Ballerinas und einem Hippie am Rheinufer. In der Hand haben sie eine Flasche Prickelwasser und jeder von ihnen ein YES-Törtchen samt Kerze. „Häppie Börsdei Marie“
00:00 Uhr. Ich bin sicherlich ein Glückskind. Ich habe im Karneval Geburtstag. Eigentlich fast immer in der Session. Manchmal sogar direkt in den närrischen Tagen. Dieses Jahr eben auch. Wundervoll. Der Korken knallt. Großes in Arm nehmen. Is dat schön!
01:28 Uhr Faszination Karneval. Ich trinke jetzt seit 16 Stunden. Mehr oder weniger durchgehend. Das Rheinufer haben wir bereits verlassen. Sind in die nächste Kneipe eingelaufen. Es schmeck immer noch. Das Wasser zwischendurch schmeckt auch noch. Wir singen und tanzen und lachen und Trump steht neben dem Mexikaner und Piraten schmusen mit Elfen und Kölner mit Münchner. Und es ist an der Zeit heim zu gehen. Alleine. Natürlich.
02:48 Uhr. Wie schön ist doch so ein Bett. Ich werde nie mehr aufstehen. Nie mehr. Ich werde nie mehr trinken. Nix mehr. Nur noch schlafen. Besoffe vör Glück.
Bis morgen.
Dat Marie