Teil II
Hier die Fortsetzung von Teil I…
Wickeln – Füttern – Schlafen – Füttern – Wickeln
Eigentlich ist Mama sein einfach. Gerade zu entspannt. Mama hat einen Plan: Baby versorgen. Baby lieben. Den ganzen Tag. Die ganze Nacht. Irgendwann im Laufe meiner Schwangerschaft gab es Leute die mir eine Horror-Story nach der Anderen erzählt haben. Schreien – toben – kotzen – nichts essen – Zähnen kriegen – Fieber. Meine Püpsen war jetzt ein Viertel Jahr alt. Von Horror keine Spur. Kein Fieber. Kein Schreien. Kein Zahn. Nachts durchschlafen, morgens fröhlich sein. Was genau haben diese Frauen eigentlich damit bezweckt? Mir diese Storys zu erzählen? Mich völlig zu verängstigen und mir schon vor der Geburt das Gefühl zu geben: das schaffst du NIE!?!
Altweibersommer – golden und sonnig
Oktober. Die Wies´n ist vorbei. Ein neuer Mann in unserem Leben. Nett. Sehr nett. Etwas älter. Hilfsbereit. Und fasziniert von der Püpsen. Hat sich aus erster Ehe scheiden lassen, weil sie Kinder wollte, er nicht. Und dann komm ich. Im Doppelpack. Mit einem so bezaubernden Baby. Zugegeben – für jede Mama ist ihr Baby das süßeste auf der Welt. Für mich eben auch. Gut. Alleine sein will ich nicht. Und meine Püpsen braucht einen Papa. Wollen wir es versuchen. Langsam. Vorsichtig. Nichts überstürzen. Die Einladung zu einem „schau-ma-moi-wias-geht“ Tag folgte prompt. Ein Sonntag. Gemeinsam Frühstücken, Spazieren gehen. Kochen. Baby betüddeln. Am frühen Sonntagmorgen fuhren Püpsen und ich also in die große Stadt zu unserem Date. Beim Bäcker angehalten, schaute sie mich prüfend an. Aus ihrem Maxi-Cosi. Sie hatte so einen fragenden Blick.
Mama, bist du glücklich? Fühlst du dich wohl?
Der Tag war wundervoll. Wenn gleich es kalt und grau und nass war. Vorbei war der goldene Herbst. Vorbei der Altweibersommer. Nebel und Nieselregen hielten Einzug in unser schönes Bayernland. Und die Püpsen hasste Mützen! Wir waren eine kleine Familie. Einen ganzen Tag lang. Und einen ganzen Abend. Um Mitternacht wollte ich dann nach Hause fahren. Aus Erfahrung wird man klug. Frau schläft nicht mehr einfach so bei fremden Männern. Die Sachen zusammen gepackt, den Maxi-Cosi bereitet. Ein letzter Kuss für die neue Liebe in meinem Leben.
… und draußen vor dem Fenster sah ich noch, wie da Boandlkramer um die Ecke bog…
Ich ging ins Zimmer um die Püpsen zu holen. Leise. Damit sie nicht aufwacht. Es war kalt. Es war eisig. Meine Brust zog sich zusammen. Ich bekam keine Luft mehr. Da lag sie auf dem Rücken. Die Augen zu. So selig schlummernd. Ich ging hin. Meine Hände zitterten. Mir war auf einmal so kalt. Ich hob sie hoch. Ich schrie. Schrie so laut und bitterlich wie in meinem ganzen Leben noch nie. Ich bekam keine Luft mehr, aber der Schrei verhalte trotzallem nicht. Mein Baby. Meine Püpsen. Nein. Das konnte nicht sein. Sie schlief sicher nur. „Ruf einen Notarzt“ das ist Alles an was ich mich erinnern kann. Dann ging Alles ganz schnell. Menschen in roten Jacken, Koffer, sie liefen rein und raus und ich saß nur da und verstand nicht was los war. Dann auf einmal: „Wir fahren ins Krankenhaus. Setzten Sie sich in den Krankenwagen“ ich funktionierte. Blaulicht, Krankenwagen, rote Ampeln, Sirenen, grüne Ampeln, Lichter, Autos, laufende Menschen, helles Licht. Ruhe. Absolute Ruhe. Ich saß auf einem Stuhl. Im Arm ihren Teddy. Ich brauchte etwas an dem ich mich festhalten konnte. Dann kam meine Mama. Sie sagte nichts. Sie setzte sich neben mich. Dann kam der Mann. Er setzte sich auf die andere Seite neben mich. Keiner sagte etwas. Ich schaukelte – vor und zurück, vor und zurück. Die Sekunden vergingen wie Stunden, die Minuten wie Tage. Dann endlich ging die Tür auf. Drei Männer kamen. Endlich.
Es tut uns leid. Wir konnten nichts mehr tun für ihre Tochter.
„Aber bitte bleiben Sie noch hier. Die Polizei wird kommen. Die haben einige Fragen an Sie.“ Mir wurde schlecht. Mein Herz wurde ganz leicht und sofort wieder schwer. Alles drehte sich. Ich konnte nicht mehr atmen. Meine Brust zog sich zusammen, als würde eine Eisenring angelegt und festgezogen. Ich wollte fallen, aber es ging nicht. Ich konnte nicht mehr stehen, meine Knie wurden weich – aber ich sackte nicht zusammen. Ich wollte raus. Ich brauchte Luft.
Der Tod hat keine Bedeutung, ich bin nur nach Nebenan gegangen. Ich warte auf Euch ganz in der Nähe, nur ein paar Straßen weiter
Sie war Tod. Meine Püpsen war Tod. Weg. Nicht mehr da. Einfach weg. „Verdammte Scheiße!“ Nichts – überhaupt nichts anderes viel mir jetzt in diesem Moment ein. Alles lief wie ein Film. Die ganze schwere Zeit der Schwangerschaft. Die Geburt. Die wundervollen Momente mit meinem Baby. Ihr Lachen. Ihre Augen. Jede Sekunde ihres Lebens lief in meinem Kopf. Rückwärts, dann Vorwärts, dann wieder Rückwärts. Und jetzt? „Mama, sie ist weg. Mama, mein Baby ist nicht mehr da. Mama, ich habe doch wirklich Alles gegeben. Ich habe mich drauf eingelassen. Ich wollte wirklich eine gute Mama sein für mein Baby. Mama, sie ist weg.“ Ich verstand nicht was passiert ist.
Ein Lächeln wie der Sonnenschein,
die Kraft von einem Löwen,
die Augen strahlen wunderbar,
ein Engel bist gewesen.
Doch dann in dunkler, tiefer Nacht,
bist du nach Haus gegangen,
was bleibt ist die Erinnerung,
die halten wir im Herz gefangen.
Es hat gedauert. Eine ganze Woche habe ich geweint. Ich habe so viel geweint, dass mir irgendwann die Tränen ausgingen. Ich hatte die Besten Freunde um mich rum. Die tollste Familie. Ich war nicht alleine, keine einzige Sekunde. Immer war jemand bei mir und wischte meine Tränen ab. Ich habe viel geredet. Gefragt. Überlegt. Ich habe nicht verstanden was passiert ist. Ich habe nur geweint. Dann. Dann nach einer Woche, habe ich realisiert, dass sie tod ist. Das sie nicht mehr da ist und das sie nie mehr wieder kommt. Ich habe mir eine Geschichte ausgedacht. Wo sie jetzt ist, was sie macht und warum All das so passiert ist. Ich brauchte was, das ich erzählen konnte. Ich musste drüber reden. Ich brauchte eine Vorstellung. Ein Bild.