Berührende Bierzelt Geschichten

Grundsätzlich gilt: Im Bierzelt ist a riesen Gaudi. Ob jung, ob alt, ob Weibal oder Mandal, alle feiern. Sind fröhlich. Trinken Bier. Ratschen. Lachen. Genießen. Hin und wieder wird vielleicht ein bisschen politisiert im Bierzelt, aber grundsätzlich sind immer alle fröhlich.

Es war an einem schwül heißen Donnerstagnachmittag. Ich hatte Spätschicht. Kam erst nach dem Mittagswahnsinn ins Zelt. Nachdem ich gemütlich daheim auf der Terrasse Kaffee aus einer Tasse getrunken habe. Kommt selten vor. Aber vereinzelt hat man solch wunderbare Tage. Mein Service ist noch ganz leer. Niemand da. Im restlichen Zelt sitzen vereinzelt ein paar Gäste hier und da an einem Tisch und ratschen. Musik spielt keine. Also schon, aber nur aus der Konserve. Schade eigentlich. Zu einem griabigen Nachmittag im Bierzelt gehört eigentlich Blasmusik. Alte Märsche. Aus längst vergangen Zeiten. Gediegen. Imposant. Herzberührend. Geschichtenerzählend. Zugegeben. Ich steh nicht auf Blasmusik. Auf Tuba und Trompete. Nicht auf Märsche. In ein Bierzelt gehört das aber. Des macht die Stimmung aus. Des gehört für die Leute dazu, die nicht mehr abends auf den Bänken tanzen. Die nicht mehr feiern, sondern die bayerische Gemütlichkeit leben. Die genüsslich einen Schweinsbraten vertilgen und sich dazu ein Bier schmecken lassen. Oft genug sind es ältere Ehepaare, die seit vielen Jahrzenten verheiratet sind. Die sich irgendwie immer noch mögen – oder sich so sehr an einander gewöhnt haben, dass sie sich damit abgefunden haben. An dieser Stelle möchte ich kurz anmerken: mir persönlich ist es völlig egal, ob aus „Gewohnheit“ „Tradition“ „Nutzen“ oder aus „Liebe“ – Menschen, die es schaffen, sich gegenseitig so zu akzeptieren, wie sie sind, mit den Macken des anderen lernen zu leben und das viele lange Jahre. Irgendwie zusammen, irgendwie nebeneinander. Ich finde es beachtenswert und toll. Ich ziehe meinen Hut vor der Toleranz und dem Vertrauen, dass sie sich gegenseitig schenken. Und ich bin der Meinung, von beiden Eigenschaften: Vertrauen und Toleranz gibt es heute viel zu wenig.

Am besagten Donnerstagnachmittag kam kurz nach Dienstbeginn ein alter Mann in meinen Service. Ganz alleine. Er fragte, ob er sich an einen Tisch setzen dürfte und ob ich ihm eine Maß bringen würde, wenn gleich er mir nicht viel Trinkgeld geben kann. „Und wenn´s mir gar kein Trinkgeld geben, dann bring i eahna de Maß a von Herzen gern.“ Da saß er jetzt, ganz alleine und weil ich nichts zu tun hatte, habe ich mich zu ihm gesetzt. Er hat mich gefragt, wann die Musik anfängt zum Spielen, wie lang ich arbeiten muss und ob es mir immer noch Spaß macht. Und dann er hat von sich erzählt. Davon, dass sei Frau vor einigen Jahren verstorben ist, all seine Freunde auch schon gestorben sind. Sein Sohn bei einem Autounfall verunglückte und er jetzt irgendwie alleine ist. Aber aufs Dachauer Volksfest geht er immer noch gerne. Jedes Jahr. Da fährt er mit dem Radl hin. Alleine. Am Nachmittag. Um Blasmusik zu hören. Mit seinen 96 Jahren will er aber nicht am Seniorennachmittag hin „So alt fühl ich mich nicht“. Er grinst. „Die ganzen Freibierlätschen, die alle nur drauf warten, dass der Bürgermeister sie einlädt und dann meckern weil die Dampfwürscht nicht warm genug sind. Die sich an nichts erfreuen können und die ganz vergessen, dass alle beteiligten ehrenamtlich für die Oiden arbeiten. Mit solche Leut mag ich nicht am Tisch sitzen.“ Jetzt muss ich ein bisschen lachen – irgendwie hat er ja recht. Er erzählt mir von Dachau nach dem Krieg, vom Lager, vom Hunger und von den schönen Zeiten mit seiner Frau. Als sie zusammen des erste Mal wieder abends zum Tanzen gegangen sind. Egal was er erzählt. Er lächelt. Obwohl es zum Teil traurige Geschichten sind, lächelt er. „Des war halt so. Nicht immer richtig, ganz oft nicht schön, aber es war so.“ Für einen Moment wünsche ich mir, dass ich nochmal mit meinem Opa reden kann. Der fehlt mir grade irgendwie.

Wir zwei ratschen noch eine ganze Stunde. Über Gott und die Welt. Der alte Mann ist keine Sekunde belehrend oder besserwisserisch. Ist nicht verbohrt oder traurig. Erzählt halt einfach nur. Von der „guaden oiden Zeit, die a ned scheena war wia heit, die a ned besser war und so, nur red ma gern davo.“

Kurz vor 17 Uhr verabschiedet sich der alte Mann. Dann radelt er heim und verspricht mir, mich nächstes Jahr wieder zu besuchen.

Ich brauch jetzt einen Moment für mich. Des war ein tolles Gespräch, so ganz weg von dem, was sonst im Bierzelt passiert. So ganz anders. Aber toll. Ich denke darüber nach, dass ich irgendwann in vielen Jahren auch mal nachmittags in ein Bierzelt fahre, mich zu einer Maß setzte und dann der jungen Bedienung erzählen kann. Hoffentlich nicht von Krieg. Nicht von Hunger und nicht von Leiden. Aktuell stehen die Chancen da ganz gut. Möge dies so bleiben!

Wenn gleich ich lieber lustige Geschichten aus dem Bierzelt schreibe, so gehört diese Geschichte trotzdem auch dazu. Passt ja heute, zu dem grauen, kalten, nassen Wetter. Berührt ein bisschen das Herz. Zeigt uns auf, dass wir trotz allem fröhlich sein sollen, können und dürfen. A jeder hat so sei Packerl zum tragen – aber des heißt ja nicht, dass man darunter in die Knie gehen muss.

In 15 Tagen geht die Wiesn los. Ich freu mich auf all die alten und jungen, die einsamen und die verliebten, die Geschichten und die Erlebnisse. Ich freu mich auf die Verrückten, die schon seit Tagen die Lederhosn probetragen. Und dem alten Mann aus Dachau, wünsche ich einen wundervollen Herbst – in jedem Sinne! Mögen Sie ewig so ein wunderbarer Mensch bleiben! Danke, dass ich sie kennenlernen durfte.

Notiz: schee, dass uns so gut geht – a Telefon in Himmi – ich habe die wundervollste Schwester der Welt!  

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